Aufgrund des medialen Neuaufflackerns von Tokio Hotel in Interviews mit bekannten Musikmagazinen hier ein kleiner Blog der seiner Zeit unter den Tisch gefallen war.
Es ist soweit. Ich schreibe diese Zeilen aus den muffigen Untiefen meines Kleiderschranks herraus, noch nicht sicher ob ich mich für folgendes schähmen muss. Außer mir sind hier drin: eine frisch verpackte Neuerscheinung aus dem lokalen Plattenladen, ein Epi-pen und zur Sicherheit noch etwas für den Notfall, man weis ja nie wie sich die Dinge entwickeln werden. Sicher, ich weis schon was sie denken. Der Typ hat ne perverse Neigung, versteckt sich in nem Möbelstück, aber so leicht ist das nicht. Ich habe mir etwas vorgenommen. Ich pelle den Schutzumschlag von der CD und selbst in vollkommener Finsternis funkelt mich Bills feistes Gesicht in Evilneon an. Es ist also wahr. Sie sind wieder da.
Nach unvermissten, unbemerkten, unbekümmerten Jahren im Exil sind die Boys und Bill von Tokio Hotel wieder da und sofort fällt auf, wie erwachsen die Band geworden ist. „Wir waren nur in LA weil wir fanden, dass sich das „L“ und das „A“ superschnucklig auf unserem Wikipediaeintrag machen würde„ , bestätigte uns die Band in einem Exklusivinterview. [ANMERKUNG AUS DER REDAKTION: Haben sie nicht!]
Bill der Leitgockel und Tom das musikalische Hirn bilden noch immer als Alpha- Modeassesoirs die Spitze der Band, gefolgt vom Rest denen das Treiben der Gruppe ehr peinlich zu sein scheint. Halt Moment mal, Tokio Hotel? Ist das nicht eine Sünde die Wir auf die Welt losgelassen haben? Wieso speaken die in allen Interviews auf einmal so fremdländisch daher, so international. Tja, aus den peinlichen Teens erwuchsen peinliche Weltbürger die einem nun auch multilingual auf den Sack gehen.
Aber ich wollte sie ja, die totale Tokiohotel-experience, deshalb bin ich hier. Man fühle sich einmal so richtig schön in enge, eigendlich viel zu kleine Lederjäckchen eingewickelt, Kopfschmuck von amerikanischen Ureinwohnern krönt das Haupt und Worte wie Selbstreflexion und Schahmgefühl wurden nachhaltig aus dem Wortschatz getilgt. Willkommen im Endstadium. Das Album „Kings of Suburbia“ erzählt, jenen mit den richtigen Ohren große Geschichten, Geschichten von künstlerischer Irrelevanz, von einem genialen Coup bei dem fünf Musiker auf dem absteigenden Ast, überwältigt vom Stardasein, eine Flucht nach Übersee wagten und Amerika endeckten.
Das sich die notorischen Durch-die-Nase-atmer selbst als Könige der Vorstadt bezeichnen ist vermutlich der ehrlichste Moment ihrer Karriere, nach weiteren Lichtblicken zu suchen kann man sich ab da aber auch schon sparen. Es gibt keine. Fast schon ein Kunststück habe die Jungs damit vollbracht ein Album mit so wenig Konsistenz zu erschaffen. Da fragt man sich doch, wie die Songs klingen die es nicht mit aufs Album geschafft haben. Monologe Bills über die geschmacklichen Unterschiede gesegneter und nichtgesegneter Obladen? Deeper Stuff, kein Zweifel.
Ein klein wenig modifizieren mussten sie in dann aber doch. Den alten Sound ein bisschen aufzuhippen durchwühlte man die Discopoptrickkiste und fand … nuja, nicht viel. Die bohrende Penetranz von Bills Stimme wurde geschickt mit blecherner Soundqualität und Autotune kaschiert. Das Gitarrenparts wegfallen und nahezu komplett von Synthies ersetzt wurden, fällt durch den normalerweise vorherrschenden Mangel an guten Riffs schlichtweg nicht weiter auf. Der Song „Kings of Suburbia“ versucht verzweifelt die Ästhetik von 90iger-Jahre-Klassikern zu imitieren und scheitert.
Ich hatte die Situation wohl doch etwas unterschätzt. Mit der immer dünner werdenden Luft im Schrank scheint sich auch mein Verstand nach und nach und nach zu verabschieden.
Um der Platzangst und dem plötzlichen Drang hysterisch lachen zu müssen entgegenzuwirken, setze ich den vorher zurechgelegten Plan in die Tat um und lege, parallel zu den “Anderen”, die vorbereitete Gwarplatte auf.
Man hört nun fast nichts mehr von den allzu komplexen Texten. Wenn ich ehrlich bin, … so kann man sich das doch eigendlich ganz gut anhören. Einige Dinge scheinen sich auch nach den Selbstfindungstrips der Band nach Japan und Amerika, kurz: auf verzweifelter Suche nach Seriösität, nicht geändert zu haben. Die Musik biedert sich durch krampfhafte Wiederholung und Simplizität an um ja den, von Universal bestellten Ohrwurmcharakter zu erzielen. Wenn Bill in die Nähe kommt sollte man, nach wie vor, besser die Beine in die Hand nehmen. Man läuft gefahr von dem wandelnden Kleiderständer Harald Glööckler´s getragen zu werden – eine unangenehme Vorstellung.
Es ist vorbei, meine Nerven liegen blank. Eine halbe Stunde lang schwitzend und schlotternd im Schrank. Ich weis nicht mehr wie oft ich mir den Epi-pen ins Bein gerammt habe, aber es müssen einige Male gewesen sein. Bei solchen Dingen macht man immer ein dummes Gesicht. Das Herz pumpt arrhythmisch zu den beiden sich unregelmäßig überschneidenen Songs. Vor und zurück, vor und zurück – man schafft es nicht still zu sitzen wenn einen Stresshormone überschwemmen. Ich habe nun auchnoch angefangen inbrünstig mitzusingen, ein furchtbares Kauderwelsch, mal eine Strophe von Gwar mal eine von Bill. Die Geräuschkulisse ist perfekt, ich sagte ja es würde peinlich werden.
Das Geprügel von Gwar zerfetzt das Autotunegesäusel und ich fühle mich auf einmal richtig gut entertaint. Gut gemacht, somit ist eurer Album wenigstens als Kanonenfutter auf dem übertrieben mit Blut getränkten Schlachtfeld der Schockmetaler zu gebrauchen. Musik für jede Gelegenheit. Der eine hörts beim Joggen, ich im Kleiderschrank sitzend um der Schande zu entgehen dabei gesehen zu werden. Fraglich ob ein Kleiderschrank aus dem Gwar und Tokio Hotel plärren subtiler ist als wenn man nackt durch die Innenstadt laufen und mit Biobananen um sich werfen würde. Ok, blödes Beispiel.
Das Werk „Kings of Suburbia“ bekommt von mir die wohlgemeinte Wertung: aalglatt und geleckt, zeigt es doch, wie beharrlich einem Universal mit den Wiederbelebungsversuchen seiner Gelddruckmaschinen auf die Nerven fallen kann. Es steht dennoch zu befürchten, dass die Band wieder mediale Relevanz erlangen könnte, was spätestens jetzt auch den letzten dazu animieren sollte panisch auf Holz zu klopfen.
von Yannick Fiedler in Blog