Das Chemnitzer Label Pablizity beging am 10. Mai 2014 in der Sanitätsstelle sein sechsjähriges Bestehen und ließ gemeinsam mit Freunden ein letztes Mal die Korken knallen um sich dann, auf unbestimmte Zeit, aus der Chemnitzer Musikszene zurückzuziehen. Wir wollen nochmal einen Rückblick wagen und haben mit Alex Büttner, Gründungsmitglied und Labelmanager, einen Plausch gehalten.
Was war vor 6 Jahren der ausschlaggebende Impuls die Funktionen des Labels, Bookers, Musikervermittlers und der Eventagentur zu vereinen und Pablizity zu gründen?
Ausschlaggebend war eigentlich, dass uns im Rahmen der Organisation des ersten RocKordia-Festivals die Grenzen einer Jugendinitiative aufgezeigt wurden und wir dringend einen greifbaren Rahmen brauchten, um unsere Ideen umzusetzen. Da der Anspruch von Bazz Networx, eben jener besagten Jugendinitiative, die ehrenamtliche Unterstützung der gesamten Chemnitzer Musikszene war, haben wir den für uns übernommen und Pablizity als eine Agentur für Musikproduktion, -präsentation und -vertrieb aufgebaut. Unseren Schwerpunkt haben wir dabei auf Chemnitz gesetzt, nicht nur bei der Auswahl der zu unterstützenden Künstler, sondern auch im Wirkungsbereich. Wir haben in unserem Tun eigentlich nie die regionalen Grenzen überschritten, ein wenig unter dem Credo, dass Chemnitz genug zu bieten hat und man die Potentiale nur abrufen und fördern muss. Außerdem war uns das freundschaftliche Miteinander sehr wichtig. Wir hatten zu keinem Zeitpunkt den Anspruch, unsere Bands zu Superstars aufzubauen. Wir wollten sie hinter der Bühne unterstützen und dafür sorgen, dass sie sich auf ihre Musik konzentrieren können – das und nichts anderes hatten wir auch den Bands angeboten und deswegen haben sie auch gerne mit uns zusammengearbeitet.
Von der Gründungseuphorie zur Desillusionierung. Wo seid ihr das erste Mal mit euren Ambitionen auf Begrenzungen gestoßen?
Ein so extremes Pendel gab es nicht, vor allem keine Desillusionierung. Als wir Pablizity gegründet haben, wussten wir um die Probleme der Chemnitzer Musikszene. Da haben wir angesetzt und auch den einen oder anderen Fingerabdruck in den letzten Jahren hinterlassen. Natürlich sind wir dabei auf Hürden und Probleme gestoßen, aber die waren nicht desillusionierend, sondern einkalkuliert. Und diese Probleme waren auch nicht der Grund für die Labelauflösung, im Gegenteil. Als die Entscheidung fiel, hatten wir noch viele Ideen im Kopf und auch das ein oder andere Projekt schon angeschoben. Aber die berufliche und familiäre Situation des Kernteams hatte sich im Sommer 2013 auf drastische Weise verändert, sodass absehbar war, dass wir die Projekte nicht mit dem intendierten Anspruch würden weiterführen können. Und da waren wir konsequent, wollten keine halben Sachen machen und vor allem nicht zusehen, wie Pablizity leise vor sich hin vegetiert – daher der Entschluss der Auflösung. Dass das terminlich perfekt mit dem nächsten Album von M&A, mit denen wir ja auch unsere erste CD-Produktion damals gemacht hatten, gepasst hat, war wie ein kleiner Wink des Schicksals.
Was habt ihr mit eurer Arbeit geleistet? Worauf seid ihr am meisten stolz und was hättet ihr im Rückblick anders gemacht?
Was wir geleistet haben, müssen eigentlich andere bewerten. In Zahlen ausgedrückt, haben wir über die Jahre acht Bands unter Vertrag gehabt (und mit unzähligen weiteren zusammengearbeitet), sieben CD-Produktionen selbst durchgeführt oder begleitet, vier RocKordia-Festivals auf die Beine gestellt, vierzig Mal den Keller der Heilse im Rahmen von Downstage mit Musik gefüllt, sieben Mal unter dem Titel Poetry Unplugged lokale Musik mit lokaler Literatur verbunden, drei Mal zum NewSters im Kraftwerk eingeladen und über dreißig weitere Events, CD-Releases, Bandpremieren und -abschiede auf die Beine gestellt.
Aber stolz bin ich persönlich vor allem darauf, dass wir nicht gezwungen waren, Pablizity zu Grabe zu tragen, sondern dass wir die Entscheidung über den Zeitpunkt selbst fällen konnten. Das Projekt war bis zum Schluss wirtschaftlich stabil, wir waren mit Sunrised Lyrics relativ nah am aktuellen Geschehen (den Blog werden wir auch weiterhin betreiben) und wir hatten Ideen. Anders gemacht hätte ich persönlich eigentlich nichts, zumindest was die Labelführung anbelangt.
Was waren die größten Highlights im Verlaufe eures 6 jährigen Bestehens als Label und Veranstalter?
Ich glaube, jeder im Team hat seine ganz eigene Favoritenliste, was die Highlights anbelangt. Die namhaftesten Geschichten waren mit Sicherheit die vier RocKordia-Festivals, wobei das Konzept ja heute durch das „Smash Your Attitudes“ weitergeführt wird. Ein anderes Highlight war zum Beispiel auch unsere erste CD-Produktion (M&A – Somewhere) und das dazugehörige Releasekonzert, als das Exil aus allen Nähten geplatzt ist. Aber auch die Abschiede von Sonderposten und Die Päpste waren in gewisser Weise ein Highlights, trotz des traurigen Anlasses. Und da wir gerade dabei sind: Unser eigener Abschied am 10. Mai war für mich persönlich auch ein Highlight – und zwar im positiven Sinne. Ein rundum gelungener und sehr emotionaler Abend, bei dem fast das ganze Team dabei sein konnte und wir unserem Baby gemeinsam ein würdiges Ende bereiten konnte.
Welche Möglichkeiten bieten sich in Chemnitz und was sind Dinge, die in dieser Stadt und mit der Chemnitzer Haltung nicht möglich sind?
In der Frage ist eine Unterstellung versteckt, die ich auch lange Zeit geteilt habe, aber eigentlich nicht mehr zeitgemäß finde. Es gibt keine Chemnitzer Haltung – zumindest keine so negative, wie sie von vielen immer beschworen wird. Wir haben in Chemnitz ein Denunziationsproblem, ja. Jede Interessensgruppe missgönnt der nächsten ihren Erfolg. Die Vertreter der niederschwelligen Kultur schimpfen auf Theater und Museum, die Theaterfans schimpfen auf das CFC-Stadion, und die Fußballfans schimpfen dann wieder über die Subkultur. Ich behaupte, dass in dieser Stadt nicht nur Platz für alle ist, sondern auch genügend Ressourcen. Denn ein ausgeglichenes Verhältnis, bei dem auch mal der Fußballfan ins Museum geht und der Theaterfan zu einem Konzert einer lokalen Band, würde nicht nur für mehr gegenseitige Akzeptanz sorgen, sondern vor allem für erhöhte Kapazitäten. Kunst, Sport und Kultur müssen zwar zu einem bestimmten Teil von der öffentlichen Hand mitfinanziert werden, aber nicht zu 100 Prozent. Und wenn der ein oder andere etwas häufiger über den eigenen Tellerrand hinausblicken und -springen würde, wäre der Cashflow auch entsprechend höher. Und letztendlich geht es doch darum: Sowohl die lokalen Veranstalter als auch die städischen Kultureinrichtungen kämpfen mit schwindentem Besucherinteresse – der CFC kämpft durch das marode Stadion mit stagnierendem Zuschauerzahlen.
Die Stadt Chemnitz verschwendet viel Geld. Aber nicht beim der Sportförderung, nicht beim Theater und nicht bei der Subkultur. Hier könnte überall noch mehr Geld fließen. Dessen ungeachtet bin ich aber der festen Überzeugung, dass in dieser Stadt alles möglich ist. Wir haben es bei RocKordia vorgemacht. Man muss nur eine Idee haben und den nötigen Biss – die Mittel finden sich dann schon. Alles andere ist Unfug.
Welche Konsequenzen wird eure Auflösung für eure Veranstaltungsreihen haben, was bedeutet dieser Wandel für eure Bands oder allgemein für die Chemnitzer Musikszene?
Wir haben bis zum Schluss noch die Downstage-Reihe im Club Heilse betreut, wobei wir hier auch rechtzeitig unseren Abschied angekündigt hatten. Wenn jemand Lust hat, die Events dort weiterzuführen, kann er oder sie sich gerne melden.
Unsere Bands machen ohne uns weiter – zumindest was den offiziellen Part anbelangt. Wir haben mit unseren Bands vereinbart, dass wenn sie mal Hilfe benötigen, wir nicht aus der Welt sind. Pablizity sollte immer ein Projekt auf freundschaftlicher Ebene sein – das haben wir bis zuletzt so gelebt und so soll es auch weiterhin sein. Nur weil es den offiziellen Rahmen nicht mehr gibt, heißt das ja nicht, dass die Freundschaften hinfällig sind oder unser Interesse an den Bands oder der Musik verschwunden ist. Fakt ist aber, dass wir unsere ursprünglichen Vereinbarungen gegenüber den Bands im Hinblick auf Engagement und Zeitaufwand nicht mehr lange hätten halten können. Daher auch dieser große Cut, um für klare und ehrliche Verhältnisse zu sorgen. Sie waren auch alle rechtzeitig informiert.
Und die Chemnitzer Musikszene hat noch genügend andere, die sich um sie kümmern können. Da machen wir uns keine Sorgen. Engagement lebt davon, dass Initiativen kommen und gehen – das bringt stetig frischen Wind in die Szene, und das ist auch gut so.
Auf eurer Seite deutet ihr an, dass eine Wiederaufnahme in unbestimmter Zukunft dennoch möglich ist. Was müsste dafür passieren? Welche Umstände müssen sich ändern?
Das hängt nicht von äußeren Umständen ab – zumindest keinen, die der Chemnitzer Musik- oder Kulturszene zuzuordnen sind. Wir behalten auf jeden Fall Sunrised Lyrics als Hobbyprojekt und auch den Namen Pablizity samt Homepage, damit falls es uns mal wieder unter den Finger juckt, wir unter der alten Flagge wieder ins Feld ziehen können. Das ist aber Zukunftsmusik. Jetzt ist es erstmal an der Zeit, dass wir uns anderen Sachen widmen, seien es Familie, Beruf und eben Hobbys, die durch das Engagement für Pablizity lange Zeit viel zu kurz gekommen sind.
Könnte man diese Entwicklung auch als eine Weiterentwicklung betrachten, so wie es 2009 bei der Ablösung von Bazz Networx durch Pablizity der Fall war? Wie könnte eine solche Entwicklung aussehen?
Nein, hier muss man ganz klar trennen. Bazz Networx war damals eine Jugendinitiative ohne juristischen oder finanziellen Rahmen. Deswegen haben wir Pablizity gegründet, wobei wir auch gleich unseren Schwerpunkt mit definiert haben. Das Ende von Bazz Networx kam, als sich das Team in alle Winde zerstreut hatte und es eigentlich nur noch auf dem Papier existierte. Der Übergang zwischen Bazz Networx und Pablizity war dabei fließend, wobei hinter Pablizity – bis auf meine Person – auch ganz andere Menschen standen. Pablizity war damit für mich die logische Weiterentwicklung des Ursprunggedankens von Bazz Networx, jedoch nochmal fast bei Null angefangen und anders aufgebaut.
Das Ende von Pablizity ist ein wirkliches Ende ohne Nachfolger. Der nächste Schritt hätte eine Professionalisierung darstellen müssen, die wir aber nicht wollten. Die Musik ist für uns ein Hobby. Und wenn man das Hobby zum Beruf macht, hat man immer das Risiko, dass man – wenn es nicht gut läuft – sich nicht nur die Arbeit versaut, sondern auch den Ausgleich. Das wollte niemand von uns. Sollte es mal ein Revival geben, dann sicherlich nur punktuell für das ein oder andere Projekt. Vielleicht ein RocKordia V im Jahr 2020 oder das lang versprochene Hip-Hop- und Metal-Album von M&A. Das würden wir uns sicher nicht entgehen lassen. Davon aber abgesehen: Der Abschied ist keine Weiterentwicklung, sondern tatsächlich ein Ende.
Am 10. Mai fand in der Sanitätsstelle der Pablizity-Geburtstag und gleichzeitig eurer Abschied statt. Wie wurde euer Abschied aufgenommen? Wie war die Stimmung?
Die Stimmung war toll. Der Abend hätte eigentlich besser kaum laufen können. Der Abschied ist uns als Team natürlich sehr nahe gegangen, aber auch den Jungs von Jamesys, die ihren letzten Auftritt uns zu Ehren gespielt haben, hatten Tränen in den Augen. Wir haben von vielen Seiten Respekt für die Entscheidung erhalten und viele schöne Worte gehört, von daher denken wir, dass wir doch eine ganz gute Arbeit geleistet haben und nicht nur wir die Zeit mit Pablizity als eine schöne in Erinnerung behalten werden.
Auch das Bandbüroteam verabschiedet sich von Pablizity und bedankt sich für die vielen tollen Veranstaltungen der letzten Jahre sowie dem mühsamen Vorrantreiben der Chemnitzer Musiklandschaft.
von Yannick Fiedler in Blog